Ab und zu braucht man ein neues literarisches Werk für die Oberstufe HAVO/VWO. Es sollen ja nicht immer die ‚ollen Klassiker‘ sein. Doch die Suche nach dem ‚richtigen‘ Buch ist nicht einfach. Obwohl jede Menge neue deutschsprachige Literatur erscheint, scheint vieles doch nicht geeignet zu sein um selbstständig zu lesen. Da findet man selbst ein Buch einfach großartig, doch ist es entweder zu schwer (sprachlich oder inhaltlich) oder viel zu lang oder enthält zu viele komplexe Verweise auf kulturelle und historische Begebenheiten, die 17-Jährige aus den Niederlanden nichts sagen. Umso glücklicher ist man, wenn man auf einen Titel stößt, der manches bietet und dazu verständlich ist. Wenn das Buch dann auch noch verfilmt wurde, ist das ein tolles Extra! Das Buch „Alles Inklusive“ erschien 2011, der Film – verfilmt von Doris Dörrie selbst – 2014.

Erzählt wird die Geschichte anfangs aus der Perspektive der achtjährigen Tochter Apple, die ihren albernen Namen ihrer Hippie-Mutter Ingrid verdankt. Apple darf nicht Mutter sagen, sondern soll immer Ingrid zu ihr sagen. Wir befinden uns dann am südspanischen Strand von Torremolinos, wo die beiden in den 1970-er Jahren einen Sommer verbringen. Ingrid lebt als unbestrittene Hippie-Strandkönigin ein großartiges Aussteiger-Leben und verdient sich nebenbei etwas Geld mit dem Verkauf von Schmuck. Doch hinter der Idylle verbirgt sich großes Leid. Apple schämt sich zu Tode wegen der blöden Hippie-Szene. Mutter und Tochter übernachten nur im ‚romantischen‘ und überhitzten Zelt, weil das Geld einfach nicht ausreicht. Apples Vater ist abgehauen und Ingrid begegnet dem Bankangestellten Karl, der mit seiner Frau Heike und seinem Sohn Tim hier den Sommerurlaub verbringt. Ingrid und Karl beginnen eine Affäre – zum Leidwesen Heikes und der beiden Kinder.

Dreißig Jahre später treffen sich die Hauptfiguren wieder – am Schauplatz dieser verhängnisvollen Sommerliebe. Bis auf Heike, die damals im Pool Selbstmord begangen hat – ein Ereignis über das nie gesprochen wurde. Man spürt: es wird – irgendwie – zu einer Aussprache kommen. Nach einer Hüft-OP soll sich die alternde Ingrid in der Tristesse eines All-inclusive-Hotels an der spanischen Costa erholen. Ingrid ist noch immer pleite und akzeptiert dieses ‚Geschenk‘ ihrer Tochter. Ingrid ist schockiert über das, was der Massentourismus mit seinen Bettenburgen und ‚all inclusive‘ Angeboten aus ihrer vermeintlichen Idylle gemacht hat. Apple lebt noch immer mit dem Vorwurf, dass ihre Mutter sie vernachlässigt hat. Jede Beziehung, die sie seitdem versucht, scheitert – daran ist ihre Mutter schuld. Auch Tim taucht wieder auf, allerdings nicht als Tim (mehr möchte ich hier nicht verraten!) und hat den Tod seiner Mutter nicht überwunden.

In „Alles Inklusive“ spielt die Mutter-Tochter Beziehung eine große Rolle, doch eine knallharte Abrechnung mit der Elterngeneration wird daraus nicht. Vielmehr zeigt Dörrie eher melancholisch wie humorvoll, dass es um Menschen geht, die alle ihr Glück suchen und sich irgendwie durchschlagen. Dörrie erzählt mit einer Mischung aus ernsthaften und heiteren Momenten, Stimmungen und Beobachtungen – und das alles in einer klaren, oft dialogischen Sprache. Die Abwechslung bei der Lektüre entsteht auch dadurch, dass die vier Hauptfiguren jeweils aus ihrem Blickwinkel die Geschichte erzählen. Dem Leser wird dadurch auch klar, dass Menschen die gleichen Ereignisse manchmal vollkommen anders wahrnehmen. Erstaunlich aktuell, heiter und gleichzeitig ernüchternd ist die Szene, wo die alternde Ingrid unversehens einen Schwarzafrikaner retten “muss“, der buchstäblich nachts am Strand nach einer erschöpfenden Flucht über das Mittelmeer vor ihre Füße landet.

Wie der Titel bereits vermuten lässt, wird klar, dass unsere Wunschvorstellungen nicht „all inclusive“ zu haben sind.  Die spanische Sonne als Metapher für das Glück weit von zu Hause, ist nicht als Fertig-Idylle zu buchen. „Alles Inklusive“ ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Tragikomödie, die nachdenklich macht.

 

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